Dieser Gastbeitrag erschien zuerst bei Bildung. Table
Die Pisa-Ergebnisse sind alarmierend. Nie zuvor schnitten Deutschlands Neuntklässler so schlecht ab. Welche Konsequenzen müssen daraus folgen? Nina Stahr, Sprecherin für Bildung und Forschung der Grünen- Bundestagsfraktion, fordert gesamtstaatliche Bildungsziele.
Die neuen Pisa-Ergebnisse waren ein Schock, mit dem jeder rechnen musste. Wo ein dysfunktionaler Bildungsföderalismus auf fehlende Lehrkräfte und marode Schulen trifft, ist an Schulentwicklung, Unterrichtsqualität und Bildungsaufstieg nicht zu denken. Wer das ändern will, muss mit vereinten Kräften die Strukturen verändern und Ressourcen organisieren. Ein „Weiter-so“ können wir uns nicht leisten – auch im volkswirtschaftlichen Sinne. Wir brauchen Umbrüche in der Bildungspolitik. Und zwar mehrere: ad hoc genauso, wie mittel- und langfristig gedacht.
Kurzfristig müssen sich Bund und Länder beim Startchancen- Programm endlich am Riemen reißen. Dass in der Woche der Pisa- Ergebnisse die Verwaltungsvereinbarung hierfür nicht unterschrieben werden konnte, war die denkbar schlechteste Reaktion auf den Pisa- Schock. Um den Start zum Schuljahr 2024/25 zu ermöglichen, muss es nun schnell gehen.
Startchancen-Programm zeigt im Kleinen, was wir im Großen brauchen
Das Startchancen-Programm wird den nächsten Pisa-Schock nicht allein verhindern. Aber es setzt genau dort an, wo es nötig ist: An Schulen mit besonderen Bedarfen, die Mittel evidenzbasiert verteilt, fokussiert auf Grundschulen und Basiskompetenzen. Und es ist ein Symbol für ein neues gemeinsames Handeln.
Das Startchancen-Programm zeigt im Kleinen, was wir auch im Großen brauchen. Das Programm hat ein ambitioniertes Ziel: die Zahl der Schüler:innen, die die Mindeststandards in Mathe und Deutsch verfehlen, zu halbieren.
Welche Ziele aber hat unsere Bildungspolitik, welche Vision? Das ist leider oft nicht klar. Es fehlt eine gemeinsame, ressortübergreifende bildungspolitische Strategie von Bund, Ländern und Kommunen: eine Verständigung auf gesamtstaatliche Bildungsziele und ein Fahrplan, wie man dort hinkommt, ein kontinuierliches Monitoring und eine wissenschaftliche Evaluation.
Dienstwagenprivileg oder Digitalisierung unserer Schulen?
Dabei müssen wir uns auch von einem eingeschränkten Verständnis von Bildungspolitik lösen. Es geht nicht nur um Schulpolitik. Vielmehr muss Bildungspolitik auch als Familien-, Sozial-, Wirtschafts-, Migrations- und auch als Demokratiepolitik verstanden werden. Aktuell verlieren wir uns aber im Klein-Klein des real existierenden Bildungsföderalismus.
Ein echter Bildungsgipfel im März dieses Jahres und ein ernsthaft aufgesetzter vorbereitender Prozess wäre die Chance gewesen, Antworten auf diese Fragen zu erarbeiten und einen Aufbruch einzuleiten. Stattdessen hat das BMBF dieses wichtige Koalitionsprojekt so lange verschleppt, bis der ursprüngliche Gipfel zu einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Bildungsforschungstagung zusammengeschrumpft war. Ein bildungspolitischer Aufbruch mit notwendigen Debatten über Struktur- und Finanzierungsfragen war das nicht.
Zur Erinnerung: Beim Dresdner Bildungsgipfel 2008 wurde das Ziel ausgerufen, die staatlichen Ausgaben für Bildung auf zehn Prozent des BIPs zu erhöhen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Und das rächt sich nun. Um die nun nötigen massiven Investitionen in Bildung zu ermöglichen, gibt es einen einfachen Hebel: den Abbau klimaschädlicher Investitionen! Wir müssen uns auch als Koalition entscheiden, was uns wichtiger ist: das Dienstwagenprivileg oder die Digitalisierung unserer Schulen?
Beim Digitalpakt 2.0 stellt sich auch die Verfassungsfrage
Immerhin ist zu begrüßen, dass die KMK ihre Strukturen evaluiert hat – nun gilt es, auch Schlüsse zu ziehen. Um etwa dem grassierenden Lehrkräftemangel zu begegnen, darf auch ein Staatsvertrag, der Zielzahlen für die Lehrkräfteausbildung an Hochschulen verbindlich festlegt, kein Tabu sein. Ebenso müssen wir anhand des Artikels 91b Grundgesetz eine Debatte über die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bildungsföderalismus führen.
Die Verfassungsfrage stellt sich auch im Zusammenhang mit dem Digitalpakt 2.0. Denn die bisherige rechtliche Grundlage birgt Nachteile. Dass wir den Nachfolgepakt brauchen, ist unbestritten. Die Schulen und Schulträger brauchen endlich Verlässlichkeit.
Denn eine klügere Nutzung der Digitalisierung und insbesondere vonKünstlicher Intelligenz wäre ein Gamechanger: Insbesondere im Bereich der Kompetenzstandsmessung können gute Apps den Lehrkräften helfen, Schüler:innen gezielter zu fördern, und damit den Abwärtstrend bei Leistungsvergleichen stoppen.
KI kann bei der Inklusion helfen
Auch KI-gestützte Administrationssysteme oder Unterstützung im Bereich der Unterrichtsvorbereitung können Lehrkräfte deutlich entlasten und geben damit Ressourcen für die Arbeit mit Schüler:innen frei. Für die Lernenden gibt es große Potenziale im Bereich individualisierter Lernanwendungen, die auf den persönlichen Lernfortschritt gezielt eingehen. Außerdem kann KI bessere Möglichkeiten zur Inklusion von Lernenden mit besonderen Bedürfnissen schaffen.
KI allein ist kein Allheilsbringer. Es bedarf einer strikten Regulierung, durch Aus- und Weiterbildung geschulte Lehrkräfte und einer möglichstländerübergreifenden Strategie. Gut, dass sich die KMK hierzu auf den Weg gemacht hat – jetzt muss sie auch zügig liefern.
Seit dem ersten Pisa-Schock sind mehr als 20 Jahre vergangen – und doch hat sich kaum etwas geändert. Wenn wir Deutschland zukunftsfähig halten wollen, müssen wir jetzt in die Bildung investieren – und endlich neue Wege gehen!