Fachgespräch zu Chancen und Risiken von KI in der Bildung
In der Auftaktveranstaltung zur Fachgesprächsreihe „@ucation – Digitalisierung der Bildung gestalten“ stand das Thema “Wie verändert KI unser Bildungssystem?” im Mittelpunkt. Um dieses Thema divers diskutieren zu können, wurden Expert*innen aus verschiedenen Bereichen eingeladen. Zu Gast waren Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Oldenburg, Eike Völker, stellvertretender Schulleiter der Schiller-Schule in Bochum und Co-Founder der EDU:digital GmbH und Prof. Dr. Katharina Scheiter, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam und Leiterin der Koordinierungsstelle „Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung“.
Chancen und Risiken von KI basierten Tools in Schule
Eike Völker, der stellvertretender Schulleiter eines volldigitalen Gymnasiums ist, hebt hervor, dass, um digitale Bildung in Schulen ermöglichen zu können, ein Mindset zu erstellen ist, das die Ziele der Digitalität in Schule klar definiert enthält. Ist dieses Mindset vorhanden, sind Lehrkräfte entsprechend aus- und weitergebildet, sind die nötigen Ressourcen dafür beschafft worden und wird Digitalität als eine Erweiterung des Lernraumes angesehen, in dem Lehrkräfte durch KI entlastet und Schüler*innen durch adaptives Lernen ihre eigenen Leistungen und Fortschritte aufgezeigt bekommen, dann kann Digitalität eine Chance im schulischen Bereich darstellen. Allerdings muss es eine klare Regelung zum Datenschutz und zum Umgang mit sensiblen Daten geben. Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist sieht neben den durchaus vorhandenen Chancen von digitalem Lernen auch Risiken im Einsatz von KI im Unterricht. Denn durch den Einsatz von KI würde Lernen stets als individuelle kognitive Leistung und nicht auch als soziale Angelegenheit betrachtet werden, die in einem Kontext stattfindet. Zudem würden Generative AI’s (wie interaktive Sideboards) nicht die Bildungsgerechtigkeit fördern, sondern diese weiter hemmen, da durch die auf Wahrscheinlichkeiten generierten Systeme a) Stereotype und Vorurteile vermittelt und diese auch durch die Vertrauensherstellung zum Gerät leichtgläubig von den Schüler*innen geglaubt und übernommen werden und b) Standardisierungen individuelle Einzelfallentscheidungen ersetzen würden. Doch Prof. Dr. Macgilchrist sieht für diese Probleme auch Lösungen. Sie hebt hervor, dass vor allem auf individueller Ebene, digitales Lernen zum Gesprächsgegenstand gemacht werden und kritisch hinterfragt werden muss. Auf der Entwicklungsebene müsse vor allem die Transparenz hergestellt werden, dass die Chatboards standardisiert und keine intentionalen Wesen sind.
Leistungsdiagnostik
Um die digitale Bildung schüler*innenadäquat etablieren zu können, bedarf es einer Reform der Prüfungsformate. Wir müssen weg von dem reinen Wissensabruf hin zum Prozess der Wissensgenerierung, so dass die Schüler*innen bei der Bewertung der eigenen Arbeit mit einbezogen werden, dafür plädiert auch Prof. Dr. Macgilchrist. Und auch Prof. Dr. Scheiter unterstützt den Schritt in Richtung formativer Diagnostik, in dem die Prüfungsleistungen unterstützende Formate darstellen und als Chancen für den Lernprozess angesehen werden können. Dies kann nach Herrn Völker beispielsweise in Form von KI-basierten Tools erfolgen, die den individuellen Leistungsfortschritt anzeigen oder auch in Form von intelligenten tutorialen Systemen, die einen regelbasierten Ansatz verfolgen und in denen ein bestimmtes Domänenwissen eingearbeitet wurde. Prof. Dr. Scheiter betont, dass hierbei nicht nur eine maximale Transparenz an den Leistungserbringungen der Schüler*innen gewährleistet sein muss, sondern auch eine Kompetenzerweiterung möglich ist, da dadurch ein Vernetzen von Wissen stattfinden kann. Zudem können solche Systeme auch als “Refreshing Modelle” angesehen werden, in denen vor allem auch eine Auffrischung und Anwendung von vor längerer Zeit erlerntem Wissen stattfinden kann.
Allerdings stellen diese neuen Prüfungsformate nicht nur Chancen dar, sondern können durchaus auch Risiken beinhalten, vor allem in Bezug auf die Leistungsentscheidungen der Lehrkräfte. Prof. Dr. Macgilchrist hebt diese Risiken hervor, indem sie darauf hinweist, dass die Systeme meist so gestaltet sind, dass die Schüler*innen Vertrauen zu diesen Systemen aufbauen sollen und somit es der Lehrkraft erschwert wird, sich gegen diese von den Systemen erstellten Prognosen bezüglich der Leistungsbewertung zu entscheiden. Wichtig ist hierbei folglich, dass die Systeme umgestaltet werden, so dass sie lediglich Empfehlungen abgeben und der Lehrkraft einen Spielraum bei der Leistungsbewertung eingerichtet wird. Prof. Dr. Scheiter geht sogar noch einen Schritt weiter, indem sie herausstellt, dass wir höhere Standards an die KI stellen als an Menschen, weil wir einerseits von Menschen eher erwarten, Fehler zu machen und andererseits davon ausgehen, dass die Systeme weniger vorurteilsbehafteter hinsichtlich der Leistungsbewertung sind. Das technische System ist sicherlich oftmals viel objektiver als eine Lehrkraft, dennoch fehlt den lehrenden Personen häufig das Vertrauen in die Geräte, eine adäquate Berechnung der Leistungsbewertung zu erstellen. Weshalb letztendlich immer die Lehrkraft, diejenige ist, die die Entscheidung bezüglich der Leistungsentscheidung trifft. Und das ist richtig so und sollte auch weiterhin so bleiben, so Prof. Dr. Scheiter. Herr Völker sieht in dieser Anpassung der Leistungsdiagnostik keinerlei Gefahr, da er durch die Benotungsempfehlung seitens des Systems und der Transparenz der individuellen Leistungen der Schüler*innen (auch in Gruppenarbeiten) eher eine Förderung der Bewertungsgerechtigkeit als der, der –ungerechtigkeit sieht.
Anders als Prof. Macgilchrist sieht Herr Völker nicht die Gefahr, dass eine abweichende Leistungsbewertung der Lehrkraft von der Leistungsempfehlung des Systems von Eltern und Schüler*innen infrage gestellt wird, sondern er sieht eher das Potenzial darin, dass die Lehrkraft durch die Leistungsempfehlung des Systems ihre Benotung leichter rechtfertigen kann – das ist aber nur der Fall, wenn die Benotung durch die Lehrkraft der systematischen Empfehlung entspricht.
Aus – und Weiterbildungen von Lehrkräften
Für die Anpassung der Aus- und Weiterbildungen von Lehrkräften bezüglich der Etablierung der digitalen Bildung hat sich vor allem Prof. Dr. Scheiter stark gemacht. Sie hebt hervor, dass es essentiell ist, nicht nur die digitale Infrastruktur in den Schulen an die neuen Gegebenheiten anzupassen, sondern auch die digitale Bildung und KI in der Ausbildung von Lehrkräften zu integrieren. Dafür sei es von großer Relevanz, die digitale Bildung in den verschiedenen Fachdidaktiken zu thematisieren, wobei die Vermittlung der Komplexität der Systeme, die Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen und deren Funktionsweisen vermitteln werden müssen.
Zudem müssen die Lehrkräfte die Chancen und Risiken von KI im Unterricht kennen und die Schüler*innen im kritischen Umgang mit diesen Systemen anleiten können. Dabei dürfen sie dennoch nicht die offene Haltung und das stetige Informieren zu Innovationen verlieren, so Prof. Dr. Scheiter. Auch wenn KI nicht das bestimmende Thema in den Kompetenzzentren ist, wird es dort behandelt – und gemeinsam mit der Praxis sollten diese, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten angepasst an die verschiedenen Fächer und den in den verschiedenen Bundesländern vorherrschenden Strukturen entwickelt und erprobt werden. Die Aufgabe der Koordinierungsstelle ist folglich dann, in den Austausch mit der KMK und den Landesinstituten zutreten und die entwickelten Weiterbildungsstrukturen auf alle anderen Bundesländer zu übertragen.
Der Einsatz von KI in Schule – eine Revolution?
Natürlich wurde auch in diesem Rahmen darüber gesprochen, inwieweit der Einsatz von KI in der Schule als Revolution betrachtet werden kann. Nina Stahr hofft auf eine Weiterentwicklung der aktuellen bzw. “traditionellen” Form von Unterricht durch die Digitalisierung und die Möglichkeiten von KI. Das Ziel sei es, zur Erkenntnis zu kommen, welche Formen des Lernens und des Lehrens für die Schüler*innen bei der Aneignung derjenigen Kompetenzen, die ihnen dabei helfen, sich selbst Wissen anzueignen, geeignet sind. Das Potenzial bilden hier auch KI-basierte Tools, die beim Kennenlernen und der Gestaltung des eigenen Lernprozesses unterstützend behilflich sein können. Dabei empfiehlt der Deutsche Ethikrat im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit, dass alle Schüler*innen Zugriff auf diese KI-gesteuerten Tools für das Eigenstudium bekommen sollen. Prof. Dr. Scheiter hebt allerdings hervor, dass gerade die häusliche Nutzung der KI-basierten Tools zur Verstärkung von Verteilungsungerechtigkeit führen würde, da gerade das Familienhaus oftmals die Quelle von Bildungsungleichheit darstellt. Prof. Dr. Macgilchrist unterstreicht, dass die Etablierung von digitaler Bildung nicht zu einer Veränderung von Schule mit den aktuellen Kontexten (wie der Dreigliedrigkeit des Schulsystems, der Einteilung in Fächer etc.) führen wird. Die Hoffnung besteht, dass digitales Lernen soziale Ungleichheiten löst, doch das kann durch den Einsatz von KI in Schule nicht geändert werden, denn ein soziales Problem kann nicht durch technische Innovationen gelöst werden. Sie hebt hervor, dass strukturelle Veränderungen mit den technischen Neuerungen einhergehen müssen, damit Bildungsungleichheiten aufgebrochen werden können. Sie schlägt vor, dass der Fokus von der Technologie darauf verschoben wird, dass KI eine Chance dafür darstellt, auf Probleme im sozio-strukturellen Kontext aufmerksam zu machen. Herr Völker hingegen bringt an, dass sich bereits in den 21st Century Skills oder den PISA-Studien zeigen würde, wo es Defizite und Probleme geben würde. Ein weiteres großes Problem, dass aktuell im Bildungssektor herrscht, spricht Prof. Dr. Scheiter an: den Lehrerkräftemangel. Doch auch diesen kann die Digitalisierung nicht lösen, da die KI die Lehrkräfte nicht ersetzen wird. Die Lösung sieht sie hier in multiprofessionellen Teams, die die Lehrenden entlasten, so dass sich diese auf das Inhaltliche des Unterrichts fokussieren können. Auch Prof. Dr. Macgilchrist spricht sich dafür aus, Fachkräfte einzustellen, die sich nur mit digitaler Bildung befassen und den Lehrenden aufzeigen, was mit den neuen Technologien im Unterricht möglich ist. Herr Völker ist dem nicht abgeneigt, betont dennoch, dass sich die Lehrenden mit den technischen Gegebenheiten des Unterrichts auskennen müssen und dass die Digitalisierung zu einem Kreativitätsanstieg und zu einer besseren Problemlösefähigkeit bei den Lehrenden führen würde.
Wünsche an die Politik
Am Ende des Fachgesprächs bekamen die Expert*innen die Möglichkeit, ihre Wünsche an die Politik zu äußern. Alle drei Expert*innen heben die Notwendigkeit von länderübergreifenden Lösungen hervor, wobei Herr Völker das Augenmerk vor allem auf bundesweite Regelungen bezüglich der digitalen Bildung und des Datenschutzes legt. Prof. Dr. Scheiter betont länderübergreifende Lösungen bezüglich der digitalen Tool-Entwicklung und Prof Dr. Macgilchrist die Schaffung von Gesprächsanlässen, um sich austauschen und gemeinsam Entscheidungen unter Berücksichtigung der sozialen Strukturen treffen zu können.
Das Fachgespräch hat noch einmal verdeutlicht, dass, künstliche Intelligenz in ihrer Gesamtheit betrachtet werden muss und, dass für die Etablierung in der Schule wichtige komplexe, strukturelle Anpassungen nötig sind. Es ist folglich nicht einfach damit getan, neue Geräte anzuschaffen und für eine bessere digitale Infrastruktur zu sorgen, es bedarf, wie im Gespräch diskutiert, vielmehr Veränderungen gerade auch auf strukturelle Ebene, damit der Einsatz von KI auch zu einer Weiterentwicklung des aktuellen schulischen Kontextes führen kann.