Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte SED-Opferbeauftragte Frau Zupke! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!
Wir erinnern in dieser Woche zum Mal an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, und wir gedenken der Opfer der blutigen Niederschlagung durch sowjetische Panzer. Unter dem Eindruck der Gewalt vomJuni ist der Mut der Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen sind, noch beeindruckender. Der Wunsch nach Freiheit und Demokratie lässt sich – damals wie heute – nicht von Panzern zerstören.
Als bündnisgrüne Fraktion tragen wir das Erbe der Bürgerrechtsbewegung der DDR in unserer DNA. Die Erinnerung an ihren Mut wachzuhalten, ist uns auch, aber nicht nur aufgrund unserer Geschichte ein wichtiges Anliegen. Was 1953 begann, das hat sich über all die Jahre fortgesetzt, und es hat 1989 seinen Höhepunkt gefunden. Unsere Bundesrepublik gäbe es ohne den Mut der Menschen in der DDR heute nicht so, wie sie ist. Das gilt nicht nur für unser Land, das gilt auch für Tausende Familien in diesem Land. Auch meine Kinder gäbe es nicht, wäre1989 nicht die Mauer gefallen. Deshalb bin ich auch ganz persönlich den mutigen Menschen in der DDR sehr, sehr dankbar, und ich werde immer dafür arbeiten, diese Erinnerung wachzuhalten.
Aber diese Dankbarkeit ist auch Verpflichtung. Es kann und es darf nicht nur einen historisierenden Blickzurück geben. Viele Opfer des Regimes leiden noch heute – physisch, aber vor allem psychisch. Deswegen ist mir persönlich und allen Bündnisgrünen die konsequente Aufarbeitung des SED-Unrechts auf Grundlage einer umfassenden und multidisziplinären Forschung nicht nur ein wissenschaftspolitisches, sondern vor allem auch ein sozialpolitisches Anliegen. Es geht um eine gesellschaftliche und politische Anerkennung der Opfer, um Entschädigungen und um zusätzliche Hilfsangebote.
Unter dem SED-Regime litten bei Weitem nicht nur dezidierte politische Gegner/-innen des Regimes. Denn nicht nur in Haftanstalten, sondern auch in Erziehungsheimen, im Gesundheitssystem, bis hin zum Leistungssport zeigte das SED-Regime seine autoritäre Fratze. Traumatisierung und Gewalt, oftmals auch sexualisierte Gewalt, waren in DDR-Kinderheimen und in Jugendwerkhöfen an der Tagesordnung. Das zeigt uns ganz aktuell der BMBF-geförderte Forschungsverbund Testimony. Die Empfehlung der Forschenden an die Politik sollten wir alle uns sehr zu Herzen nehmen! Testimony ist einer von insgesamt 14 vom BMBF geförderten Forschungsverbünden zur DDR-Geschichte; ganze 32 Hochschulen wurden in der ersten Förderphase mit Bundesmitteln gefördert.
Neben der projektbezogenen Förderung leisten zusätzlich die außeruniversitären und institutionell geförderten Forschungseinrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag in diesem Feld. Zu nennen sind hier etwa das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam oder auch das Institut für Zeitgeschichte München. Um das Thema langfristig zu stärken, muss die DDRForschung über die Projektförderung hinaus aber auch strukturell besser an den Universitäten verankert werden. Das kann und das muss auch von den Ländern sicherlich noch stärker forciert werden, um nachhaltigere Strukturen zu schaffen. Als Bildungspolitikerin setze ich mich außerdem dafür ein, den Transfer der Forschungsergebnisse in die Bildungsarbeit weiter auszubauen. Es ist großartig, dass dies bereits bei vier Forschungsverbünden gemacht wird. Die Nutzbarmachung der Erkenntnisse für schulische und außerschulische Bildungsangebote oder auch die Integration der Ergebnisse in die Lehramtsausbildung an den Universitäten in Jena und Erfurt ist toll; dies sollte aber noch bei viel mehr Forschungsprojekten gewährleistet sein.
Eine aktuelle Umfrage der Bundesstiftung Aufarbeitung zeigt, dass nur noch jeder Siebte 14- bis 29-Jährige mit dem Datum 17. Juni etwas anfangen kann. Das zeigt, dass wir das Wissen über die DDR-Geschichte in Lehrplänen, in der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung, in der politischen Bildung, ja, in unserer gesamtdeutschen Erinnerungskultur besser, stärker und nachhaltiger verankern müssen.
Verstehen Sie mich dabei bitte nicht falsch: Ich plädiere hier nicht für das Auswendiglernen von Jahreszahlen. Aber gerade in Zeiten, in denen unsere freiheitliche Demokratie zunehmend wieder angegriffen und infrage gestellt wird, ist es wichtiger als je zuvor, das Wissen über die Verbrechen des SED-Regimes zu vermitteln und dadurch auch den unschätzbaren Wert unserer liberalen Demokratie herauszustellen.
Erlauben Sie mir hier eine Zwischenbemerkung an die antragstellende Fraktion: Wenn ich im Kontext des Wärmeplanungsgesetzes aus Ihren Reihen den absurden und geschichtsvergessenen Vorwurf einer Energie-Stasi lesen muss, dann frage ich mich ernsthaft, ob Sie jeglichen politischen Kompass verloren haben. Mit solchen ahistorischen Vergleichen vergiften Sie nicht nur den politischen Diskurs zwischen demokratischen Parteien, vor allem verhöhnen Sie die Opfer der wirklichen Stasi und des SED-Regimes, und das ist einer demokratischen Partei unwürdig.
Wir Bündnisgrüne sind jederzeit bereit, über mehr Mittel für die Erforschung des wirklichen Stasi- und SED-Staats DDR konstruktiv zu sprechen, gerne auch im anstehenden Haushaltsverfahren, sollte es zusätzliche Bedarfe durch Forschungslücken und sollte es verfügbare Mittel geben. Schaufensteranträge der Union brauchen wir dafür aber nicht.
Herzlichen Dank.